Stephanie Joedicke/Editorial: Denke ich an Teppiche, schießen mir unwillkürlich Bilder aus den Wohnungen meiner Großeltern in den Kopf. Auf Teppichboden lagen dort Teppiche, stellenweise
überlagert von weiteren Teppichen. Gemütlich sollte es sein und fußwarm. Für die Akustik war das ein Glücksfall – die Optik ließ aus heutiger Sicht bisweilen zu wünschen übrig. Sein angestaubtes
Image hat der Teppich inzwischen längst abgelegt und einen Weg zurück in unsere Wohnungen gefunden. Nicht ganz unbeteiligt daran ist der international anerkannte Designer Jan Kath, den wir für
das Titelinterview
dieser Ausgabe in Bochum trafen. Rund 300 Kilometer weiter östlich und damit zurück in unserer Region haben wir Fritz Lutz im Atelier NR°53 besucht. Dort haucht der 79-Jährige alten Teppichen
neues Leben ein. Ab Seite 20 lassen wir Behaglichkeit in unsere vier Wände einziehen. Wie wir unserer Haut in den Ferien eine Auszeit gönnen, den richtigen Wein für festliche Anlässe finden sowie
viele weitere spannende Themen, lesen Sie auf den folgenden Seiten. Im Namen der Redaktion wünsche ich Ihnen besinnliche wie lauschige Festtage, muntere Gespräche, die Herz und Seele erwärmen
sowie einen guten Rutsch ins neue Jahr!
VON NATHALIE SCHLIE
Im Jahr 2000 baute der gelernte Raumausstatter Friedrich Lutz mit seiner Ehefrau ein Haus in Ilsede – sein heutiges Atelier NR°53. Hier lebt und arbeitet der 79-jährige. Überwiegend
stellt er Teppiche her. Was das Besondere an ihnen ist und aus was sie gemacht werden, erzählt Friedrich Lutz uns bei einem Gang durch sein Atelier.
Der 79-jährige gelernte Textileinzelhandelskaufmann und Raumausstatter, der sich selbst lieber Fritz statt
Friedrich nennt, sieht in sich eher einen Handwerker als einen Künstler. „Ich habe ja erst mit 62 Jahren mit der Kunst angefangen. Damals habe ich das erste Mal erfolglos an einem Malkurs
teilgenommen. Ich kann
nämlich absolut nicht malen. Und ich war der einzige Mann unter all den Frauen.“ Er lacht, und erzählt, dass er das gewöhnt sei. „Ich bin das jüngste von fünf Kindern. Vier Mädchen über mir.“
Geboren wurde Friedrich Lutz in Peine, aufgewachsen ist er in Salzgitter. Nach der Schule begann er dort zunächst eine Lehre zum Textileinzelhandelskaufmann und schloss noch eine Ausbildung zum
Raumausstatter in Bad Harzburg an. „Meine Devise bei der Berufswahl damals war, dass ich es sauber und trocken haben wollte. Ich wäre also nie Autoschlosser geworden.“
Bis 1974 war Fritz Lutz als Verkäufer in verschiedenen Möbelhäusern tätig. Danach arbeitete er bis 2000 als selbstständiger Raumausstatter. Seit 2005 ist er in Rente und kann sich handwerklich
und künstlerisch frei entfalten. „Meine Frau sagt immer zu mir, so wie Beethoven ein Gehör hatte, so hast du ein Farbempfinden.“ Und dieses Farbempfinden, von dem Fritz Lutz da spricht, ist in
jedem Raum seines Ateliers NR°53 spürbar. Alles ist farblich genaustens abgestimmt und ein Kunstwerk für sich.
Die „Villa Kunterbunt“ für Erwachsene
Von außen wirkt das Atelier NR°53 eher unscheinbar. Bis auf die runden Fenster. Das schlichte, fast schon reduziert wirkende Weiß der Hausfassade, lässt einen nicht erahnen, was im Inneren
wartet. Jeder einzelne Raum in Fritz Lutz Atelier ist mit Liebe zum Detail gestaltet, hat eine andere Farbe, die gefühlt den Ton angibt und die Farben der Teppiche diesem Hauptton unterordnet.
„Insgesamt liegen acht meiner Teppiche in meinen Wohn-räumen“, erzählt Lutz. Alles wirkt kunterbunt und doch farblich strukturiert. Ein bisschen wie die „Villa Kunterbunt“ für Erwachsene.
Überall im Haus hängen Gemälde von befreundeten Künstlern. Auch hier unterschiedlichste Motive, Materialen und Farben. Selbst die Fliesen im Bad sind Ausdruck von Kreativität und nicht einfach
Otto Normal. Fritz Lutz hat unterschiedliche Größen, Materialien und Farben miteinander kombiniert. „Und aus den Fliesenresten habe ich dann noch diese beiden Mosaikbilder gemacht“, erzählt Lutz,
während er auf zwei Bilder über der Badewanne deutet. Jedes seiner Kunstwerke scheint eine persönliche Geschichte zu haben. Im Garten zeigt Lutz uns eine aus Draht gefertigte Skulptur. „Über
diesen Draht bin ich einmal im Dunkeln gestolpert und habe mich geärgert. Am nächsten Tag habe ich diese Skulptur daraus gemacht“, erzählt er lächelnd und ein wenig stolz.
Recycelte Teppichmuster-Kollektionen
„Als ich 2005 in Rente ging, wusste ich nicht wohin mit den alten Kollektionen der Teppichmuster, die ich noch zuhause hatte. Und zum Wegwerfen waren sie mir zu schade. Da sagte meine Frau
spaßeshalber, dann mach doch einen Teppich daraus. Und das habe ich dann gemacht.“ Während Lutz erzählt, be-treten wir einen seiner Arbeitsräume. „Meine ersten Teppiche waren aber noch keine
Kunst. Anfangs habe ich einfach drauflos geklebt, ohne besonders auf unterschiedliche Muster und Qualitäten zu achten. Mit der Zeit begann ich dann mehr und mehr zu experimentieren.“ Der
79-Jährige ist voll in seinem Element, während er die Musterbücher, die er für seine Teppiche verwendet, durchblättert und uns erzählt, dass er insgesamt 400.000 bis 500.000 Muster zuhause
hat.
Damals wurde Lutz auch gefragt, ob er seine Teppiche nicht auf der Kreativmesse „Hand-made“ in Braunschweig auszustellen wolle. „Ich war damals körperlich nicht in der besten Verfassung und kam
gerade aus dem Krankenhaus“, erzählt er. Er habe sich aber trotzdem breitschlagen lassen. Als er erfuhr, dass seine Teppiche unter dem Motto „Begehbare Kunst“ ausgestellt werden würden, fasste er
den Ent-schluss aus ihnen wirkliche Kunst zu machen.
„Daraufhin habe ich ein paar Kunstwerke abgekupfert. Zum Beispiel den Van Gogh gepixelt“ erzählt er. Es folgten Teppiche, die sich an Bildern von Roy Lichtenstein, Pablo Picasso und Paul Klee
orientierten. Später kamen dann immer mehr Anfragen nach bestimmten Designs, Größen und Farben. Seitdem fertigt Lutz individuelle Brücken und Teppiche. „Der Kunde kann die Größe und weitgehend
die Farbe bestimmen und ich garantiere ihm, dass er Topqualität kriegt und zugleich ein Unikat von Fritz Lutz, das es so nie wieder geben wird.“
Individuelle Wunschteppiche
Ein durchdachtes Marketing oder eine Werbestrategie gibt es nicht. Er verkaufe seine Teppiche durch einfache Mund-zu-Mund-Propagan-da. „Und ein Auftrag zieht dann meistens noch drei, vier weitere
nach sich. Ich mache häufig für Tante, Oma, Bruder, also für die ganze Familie Teppiche.“
Der Preis der Teppiche richtet sich übrigens nach der Größe. Ein Teppich in 180 mal 200 Zentimetern zum Beispiel würde um die 200 Euro kosten. „Er kann aber auch bei besonderen Farbwünschen bis
zu 500 Euro kosten. Besonders wenn die Farben schwer zu kriegen sind und ich sie nicht in meinen Musterbüchern zu Hause finde.“
Der 79-jährige gelernte Raumausstatter bietet auch Hausbesuche an, um seine Teppiche individuell auf die vorhandene Einrichtung des Kunden abzustimmen. „Es gibt Kunden, die komplette
Einrichtungstipps von mir möchten. Und die bekommen sie dann natürlich auch.“
Die Formel der Farben
Was viele gar nicht wissen – Fritz Lutz fertigt außerdem Kissen, Reliefs, Möbel, Skulpturen und vieles mehr. Die Arztpraxis seiner Frau hat er beispielsweise komplett gestaltet. „Da ist alles aus
einem Guss.“
Man merkt, wie sehr Lutz seine Arbeit liebt und auch wie stolz er darauf ist. Trotzdem gibt er sich bescheiden. Eine entscheidende Rolle bei all seinen Arbeiten spielt die „Formel der Farben“,
die Lutz schon zu Beginn unseres Gespräches angesprochen hatte. Es komme immer auf die richtige Komposition von Farben an. Und man müsse ein Gefühl für Far-ben haben. „Ich sage zum Beispiel nie
rot. Rot ist ein viel zu weiter Begriff. Ich sage Himbeere oder Kir-sche. Damit macht man Farben doch erst greifbar.“
Inspiration für seine Arbeiten finde er überall. „Das kann ein Baum sein oder ein Bild, aber auch eine Treppe oder eine Tapete.“ Und dabei sei kein Werk-stoff zu ungewöhnlich für seine Kunst.
„Das Wich-tigste bei allem im Leben ist die Liebe. Alles, was ich nicht mit Liebe mache, brauche ich gar nicht erst anzufangen. Ob das beim Kochen oder Abwaschen ist oder eben bei meinen
Teppichen.“